1030 views
# In Memoriam - David Lynch Ralf Stockmann - 6.2.2025 https://chaos.social/@rstockm David Lynch ist am 15.1.2025 gestorben. An diesem Tag wurde mir eines klar: es gibt keinen lebenden oder toten Künstler, der oder die einen größeren Einfluss auf mein Leben hatte. Zeit, das zu würdigen. ![](https://pad.wolkenbar.de/uploads/02957e41-3db0-4dc6-bce3-cba48beee737.png) ## Dune (1984) Dune war der erste "Erwachsenenfilm", den ich im Kino gesehen habe. Ich war damals 11 Jahre alt, und schon damals groß gewachsen - der Film hatte eine Alterbeschränkung ab 16 Jahren in Deutschland. Zu Recht. Was es dort zu sehen gab, sprengte bei weitem alles, was man vom Fernsehen zu der Zeit (es gab nur ARD, ZDF und dritte Programme) kannte. Schon in der Eingangsszene mit dem Gildennavigator wird unmissverständlich klar: Hier werden alle konventionellen Pfade verlassen. ![](https://pad.wolkenbar.de/uploads/53f1e6a4-a80c-47fe-a7f3-30feb66f76ad.png) Der Film mag viele Schwächen haben, Lynch wurde der final cut entzogen. Aber er hat immer noch eine Seele, die ich bei den neuen Filmen vermisse. Und was gab es da alles zu bestaunen: Gay Culture, SM, Fetisch, Torture Porn. Alles etwas viel für einen katholischen 11jährigen, aber es hat dazu geführt, dass ich die ersten vier Romane von Frank Herbert gelesen habe. Was wiederum mein Einstieg in die ernst zu nehmende Science Fiction war - das hatten weder Star Trek noch Star Wars geschaft. ## Blue Velvet (1986) Blue Velvet habe ich vermutlich um 1988 auf Video gesehen, also mit 15 Jahren. Er ist und bleibt mein "Herzfilm" von Lynch, der Film, in dem schon alles angelegt ist. Für die Grundbotschaft "es gibt eine dünne, verletzliche Schicht der Zivilisation, doch darunter pulsiert ein nicht endendes Geflecht aus Abgründen" war meine wohlbehütete Peer-Group sehr empfänglich. Wir steigen mit Kyle MacLachlan in diese Abgründe hinab, und kaum ein Film representiert klarer die Nietzsche Binse "Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein". ![](https://pad.wolkenbar.de/uploads/b042b6e2-8bcf-4adf-ba3b-4502c3ec0470.png) Besonders fasziniert hat mich die "Wir fahren zu Ben" Sequenz, aber ich habe die damals ernsthaft nicht als homoerotisch gelesen. Oh you sweet summer child. Was sich auch bis heute - ich habe den Film bestimmt 15 mal gesehen - nicht geändert hat: ich könnte die Handlung nicht schlüssig erklären, dabei ist es noch einer der stringenteren Lynch-Filme. Wer da jetzt warum in welche kriminellen Machenschafften verstrickt ist - all das ist eigentlich egal, man wird so in die jeweilige Szene eingesogen, das Hirn schaltet in diesen sehr speziellen _Lynch-State_ in dem das einfach keine große Rolle mehr spielt. Blue Velvet war mein Einstieg in alles, was abseitig, cringe, camp und independent war. Ich musste da nie selbst ein Teil von werden, aber mein Horizont wurde aufgesprengt und bis heute profitiere ich von diesem "keiner hier ist normal" Mindset. Ohne die Vorarbeit von Lynch hätte ich mich etwa nie auf die Absurditäten von Schlingensief einlassen können. Scheitern als Chance. ## Twin Peaks (1990) Einer der seltenen Momente, wo Popkultur und künstlerische Qualität für einen kurzen Zeitraum (die erste Staffel) wirklich Hand in Hand gingen. Was war das für ein Event, ich mit 17 Jahren im perfekten Alter. Meine Clique und ich waren ganz aus dem Häuschen, dass es zu unserem Lieblingsfilm (Blue Velvet) jetzt quasi eine Serie gab. Und was wurde da abgeliefert. Der Impact dieser Serie auf die ganze Art wie Serien gedacht werden - linieares Erzählen statt abgeschlossener Episoden, nur unterbrochen durch Cliffhanger - ist tausendmal beschrieben worden. Was mich aber auch elektrisiert hat: nie zuvor (und ich fürchte: nie danach) hatte eine Serie solche Frauenfiguren. Donna Hayward, Shelly Johnson - und vor allem aber: Audrey Horne. Diese - ich möchte sagen - Wesen - waren SO ANDERS als alles, was man aus der Schule kannte. Wenn Audrey einen Kirschstengel nur mit ihrer Zunge knotet wird einem 17jährigen unmissverständlich klar: dort draußen wartet noch etwas ganz anderes. Man sollte sich ernsthaft auf die Suche machen. ![](https://pad.wolkenbar.de/uploads/7f4dd5cb-e02a-4a6a-9a1a-f931d3df4524.png) Dass die zweite Staffel dann eher Probleme mit sich brachte - egal. Ich war schon immer der Meinung, auch in der Kunst darf der Weg das Ziel sein, ja ich schaue dich an, LOST. Oh, welch Übergang: ## Lost Highway (1997) Der vermutlich "perfekteste" Lynch Film. Nachdem mich Wild at Heart (1990) und Fire Walk with me (1992) eher kalt gelassen haben, kam dieses Großwerk fast etwas unerwartet. Faszination und und Verstörung sind perfekt in Deckung gebracht, und wie üblich habe ich keine Ahnung, worum es in dem Film eigentlich geht. ![](https://pad.wolkenbar.de/uploads/62dde261-9bcb-4be1-925a-42247250376b.png) Das mag daran gelegen haben, dass zu dem Zeitpunkt mein Englisch eher lausig war (das änderte sich erst mit dem Binge-Watching von "24" 2002 - dafür dann nachhaltig). Aber für diese eine Szene gegen Ende war das natürlich ein großes Glück. Man sitzt da also im Kino, im üblichen _Lynch-State_ und sinniert so vor sich hin, was da zu sehen und Englisch zu hören ist und dann brettert dort diese Stimme aus der Leinwand MAN SIEHT IHN UM DIE KIRCHE SCHLEICHEN und man ist mitten in einem _das kommt nur einmal, das gibts nie wieder_ WTF Moment. Rammstein ist völlig durch, keine Diskussion - aber dieser Moment wird und muss bleiben, ebenso wie das fucking Schiff, das in Fitzcarraldo über den Berg gezogen wird. ## Mulholland Drive (2001) Dieser Film wird gemeinhin als das "große Werk" von Lynch gehandelt. Ich habe damit lange gefremdelt und ihn erst nach einem aktuellen Rewatch für mich entdeckt. In der Tonalität klar ein (neo) Film Noir, erinnert vieles in Aufbau und Form an Hitchcock. Was dieser Film auch eleganz zelebriert, ist die Brücke von "eigentlich ist das alles recht linear erzählt" im ersten Teil, die eher an Blue Velvet anschließt, und dem völlig auf den Kopf gestellten "war das alles nur ein Traum" surrealen letzten Akt, der eher Lost Highway aufgreift. ![](https://pad.wolkenbar.de/uploads/6a6d5e66-01cb-4ab9-b866-94599a858f97.png) Das ist alles schon sehr ausgeklügelt und teils Weltklasse geschnitten (die Tasse Kaffe, die sich in einen Drink verwandelt und damit eine Rückblende visualisiert). Oh, und der hier seit Twin Peaks mal wieder heruasragende Soundtrack von Badalamenti. Ich mag es außerdem sehr, wie hier Los Angeles als Stadt präsentiert wird - Großstädte waren bisher nicht Lynchs terrain. Ich finde den Film insgesamt aber einen tucken zu lang. ## Twin Peaks Season 3 (2017) Man durfte da doch etwas Angst haben. Eine Fortsetzung die niemand so recht bestellt hatte, zu groß war die Gefahr, dass die Schätze der Jugend durch ein halbgares Spätwerk geschmählert würden. Lynch war 71 Jahre alt. Aber nein - alles wurde gut. Wenn es einen Beweis braucht, dass die These "alle relevante Kunst wird bis zu einem Alter von 30 Jahren erschaffen" nicht immer zutreffen muss, so ist es diese Staffel. Sie startet eingängig, wird dann sperrig, unterwandert recht kompromisslos die Erwartungshaltung, nur um in eine unerhörte Katharsis zu münden: I AM the FBI. Definitiv in meiner Top 3 der besten Serien-Momente aller Zeiten. Insbesondere die - ich möchte sagen "Meditation" in Episode 8 ist nicht nur Weltklasse, sondern bricht wieder die Mauer ein dessen, was man im Serienformat für möglich hielt. Was für ein Triumph, und was für eine Scham, dass diese Serie bei den Emmies komplett übergangen wurde. ![](https://pad.wolkenbar.de/uploads/1f5c5d7c-26cc-4595-8ca1-9bc79cd4c66d.png) Ich hoffe, Lynch hat noch klar genug mitbekommen, was für ein Geschenk er mit dieser Staffel so vielen Menschen gemacht hat. ## Memorable mentions Eraserhead (1977), Wild at Heart, (1990) Inland Empire (2006) - ich verstehe, wie diese Filme gemeint sind, aber sie erreichen mich nicht annähernd so wie die oben besprochenen. The Elephant Man (1980), The Straight Story (1999) - die beiden "normalen" Filem von Lynch. Beide absolut super, kann man ohne Abstriche in jeder Filmfreund-Runde servieren. Dies sind sicher auch die Filme, in denen der Humanismus von Lynch am klarsten sichtbar wird - ja, auch dazu war er fähig. ## Letzte Worte Es bleibt nur noch Vanilla Chief zu zitieren: ![](https://pad.wolkenbar.de/uploads/89aa7819-7865-4cc7-91dd-78e18dd00852.png)